Antimilitarismus in Zeiten der Pandemie

+++ Aktuelle Mitteilung des Bündnisses Rheinmetall entwaffnen +++

Die Corona-Krise stellt auch uns als Bündnis “Rheinmetall entwaffnen” vor eine doppelte Herausforderung.

Die erste Herausforderung stellt sich unmittelbar an uns selbst: Es ist erforderlich, die eigene Arbeitsweise und Arbeitsfähigkeit zu überdenken. Das meint nicht nur das Umstellen auf Telefonkonferenzen und Online-Tools. Es geht auch um eine (gemeinsame) Einordnung, was die Seuche mit uns macht.

Viele Menschen haben berechtigte Angst. Wir sind da keine Ausnahme. Angst davor, dass es uns selbst erwischt; die Befürchtung, dass wir ohne es selber zu merken andere anstecken; die Sorge um die eigenen Angehörigen; die Angst um Freund*innen mit kleinen oder größeren Handicaps; die Ungewissheit, wie wir und andere die Isolation in der Kontaktbeschränkung aushalten.

Wir müssen lernen, uns einzustellen auf eine Situation, in der wir alle gefährdet sind und in der wir ebenso andere gefährden könnten. Denn eine Epidemie ist kein Geschehen, das irgendwie über uns kommt. Die epidemische Entwicklung hängt davon ab, wie sich Menschen in ihrer Gesamtheit verhalten. Niemand weiß derzeit genau, wie lange die verordneten Einschränkungen der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit dauern. Die eigene Einschätzung, was vernünftig ist, wieviel Ansteckungsrisiko wir uns gegenseitig zumuten wollen, erfordert permanente Anpassung an reales Geschehen.

Auch wenn jede und jeder ein eigenes Tempo hat, in dem das ins Bewusstsein vordringt, verlangt die Situation es uns ab, dass wir diese Herausforderung als kollektiven Lernprozess begreifen und uns darauf einlassen, gemeinsam angemessene Antworten darauf zu suchen. Es ist gut, dass wir mit dieser Aufgabe nicht allein dastehen. In allen Themenfeldern beschäftigen sich Menschen in sozialer Bewegung mit der Frage, wie wir aufrechterhalten können, dass ‚unser‘ Thema das ihm zukommende Gewicht und die erforderliche Dringlichkeit erfährt, ohne dabei die veränderte Situation zu ignorieren.

Die zweite Herausforderung besteht darin, den Blick und das Gespür für die politischen Entwicklungen, die die gegenwärtige Krise hervorbringen oder beschleunigen wird, nicht zu verlieren. Einige Punkte seien hier genannt:

Gegenwärtig scheint vieles zu gehen, was schon vorher richtig gewesen wäre und doch unmöglich schien: die Bedeutung von kaum geachteten und schlecht bezahlten Berufen wie Krankenpfleger*innen oder Supermarktbeschäftigten kann nicht länger unsichtbar gemacht werden; im Sozialbereich wird auf Bedürftigkeitsprüfungen verzichtet. Prekäre bekommen finanzielle Unterstützung. Soldat*innen werden aus dem Krieg zurückgeholt. Arbeits- und Mietverhältnisse werden geschützt. Der Begriff ‚Solidarität‘ erlebt in der Politik seine Wiederentdeckung. Öffentlich wird diskutiert, wie neoliberale Politik das Gesundheitssystem kaputtgespart und damit krisenanfällig gemacht hat.

Dagegen steht: elementare Menschenrechte wie das Recht auf Asyl, das schon vor der Pandemie nichts mehr in Europa zählte, haben keine Chance, in dieser Krise durchgesetzt zu werden. An den Grenzen der EU wird es im Tränengas erstickt – mit Waffen aus Rüstungsbetrieben wie Rheinmetall. Dort geht die Produktion – von der Seuche unberührt – einfach weiter.

Ein Klima von offen geäußertem Sozialdarwinismus droht an Boden zu gewinnen. Es seien ja „nur die Alten, die wegsterben, und die tun das früher oder später ohnehin“, so begründete Boris Johnson, warum in UK (zunächst) keinerlei Maßnahmen ergriffen wurden. Wie schnell breitet sich aus, dass viele Menschen so denken? Wann verbindet sich diese Haltung mit der Forderung, das wirtschaftliche Leben müsse wieder in Gang gesetzt werden? Schon jetzt wird die Forderung laut, Alte pauschal zu isolieren, damit „das Leben weitergeht“!

Der staatliche Umgang mit dem Virus beschleunigt und verdichtet autoritäre Innen- und der Außenpolitik. Österreich hat vorgemacht, wo es hingehen kann. Das Programm ihrer repressiven Politik scheint die türkis-grüne Regierung unter den gegenwärtigen Eindrücken erweitert zu haben auf einen Slogan: “Klima, Gesundheit und Grenzen schützen” – durch Sperren!

Die Regierungen von Bund und Ländern verhängen umfassende Kontaktbeschränkungen über die gesamte Republik. In der Automobilbranche sind die Umsätze eingebrochen, die Produktion von Kriegsgerät hat das aber mehr als wettgemacht: 103.399.780,80 EUR will Rheinmetall seinen Aktionär*innen im Mai als Dividende ausschütten.

Die EZB hat bereits angekündigt, bis Ende des Jahres 750 Milliarden Euro zusätzlich in die Finanzmärkte zu pumpen, um mit Anleihenkäufen die Kurse zu stützen. Die finanziellen Folgen dieser Krise werden die der Finanz- und Weltwirtschaftskrise nach 2007/8 übersteigen. Die Folge damals war eine gnadenlos durchgesetzte Austeritätspolitik. Auf Druck der Troika wurden in Griechenland und Italien unter anderem im Gesundheitssektor massive Kürzungen vorgenommen. Die Toten in Italien sind Produkt dieser Sparmaßnahmen.

Die schwarze Null ist ein Bumerang. Nach der Krise wird die gerade ausgesetzte schwarze Null umso heftiger wieder auf uns zurück fallen. Sie wird vieles erschlagen. Wenn das Spardiktat nach einer kurzen Pause also wieder die politische Bühne betritt, ist aber auch klar, woran nicht gespart werden wird: An der Aufrüstung und Abschottung Europas. Auch nicht am EU-Türkei-Deal, der der Abschottung Europas dient und gleichzeitig die faktische Unterstützung der türkischen Kriegspolitik in Nordsyrien bedeutet.

Ganz unverhohlen sprechen sich Politiker*innen inzwischen dafür aus, Armeen in alle Welt zu schicken; immer riesiger werdende Teile der Staatsausgaben werden für die Vorbereitung von Krieg bereitgestellt. Die Androhung soll glaubhaft, der Einsatz militärischer Gewalt durch eine deutsche beziehungsweise europäische Armee in allen erdenklichen Spannungslagen zu einer realistischen Option werden. Das sicherheitspolitische Paradigma, die EU auch militärischen zur Weltmacht zu entwickeln, wird durch das Corona-Virus nicht in Frage gestellt. Es steht zu befürchten, dass es auf diesen Prozess eher wirkt wie ein Katalysator.

Dafür, dass diese wahrscheinlich unzulänglichen Prognosen eintreten, besteht allerdings kein Automatismus. Die Menschen spüren, wie brüchig das herrschende System ist. Wir alle sollten uns fragen, wie wir mit einer imperialen Lebensweise brechen und grundlegende Veränderungen erreichen können. Die Kämpfe der widerständigen Vielfalt sind unsere Hoffung und unser politischer Kompass. In diesen dynamischen Zeiten müssen wir uns vortasten ins politisch und zeitlich Unbestimmte.

Wie geht es weiter mit ‘Rheinmetall Entwaffnen!’?

In antimilitaristischen Camps trafen sich bislang drei Anliegen:
• Wir kommen zusammen – um uns auszutauschen, um mit- und aneinander zu lernen.
• Wir schaffen einen wahrnehmbaren Punkt und intervenieren damit in den gesellschaftlichen Diskurs.
• Wir greifen ein und stören die kriegerische Normalität.

Geplant war ein antimilitaristisches Camp für die Zeit vom 23. bis 30. August in Unterlüss bei Celle in Niedersachsen. Wir halten euch über unsere Kanäle auf dem Laufenden darüber, wie es damit weitergeht. Alle drei Anliegen sind und bleiben wichtig. Wir wissen nicht, welche Formen dafür in diesem Jahr möglich und richtig sind. Aber uns ist klar, dass wir auch weiterhin einstehen müssen: für grenzenlose Solidarität und gegen Krieg und Militarisierung!
Daran arbeiten wir.