Rheinmetall – zwei Seiten einer Konzerngeschichte

Der nachfolgende Text ist aus folgendem Buch entnommen: Annette Hauschild und Helmut Lorscheid: Ermittlungen gegen Rheinmetall. Rüstungsexporte vor Gericht. Forum Europa Verlag, 1987 [Download, pdf, 12 MB]

»Jedes Unternehmen hat seine Geschichte – nur wenige allerdings sind so eng mit dem Schicksal ihres Landes verbunden wie Rheinmetall«

Mit diesem Zitat beginnt eine Broschüre des Konzerns über seine 90jährige Geschichte 1889-1979. Von Beginn an stand der Krieg im Mittelpunkt der Rheinmetall-Produktion.

»Rheinmetall ist ein Unternehmen, das bahnbrechende Erfolge im gesamten technischen Bereich zu verzeichnen hat. Es wurde am 7. Mai 1889 als ‚Rheinische Metallwaren und Maschinenfabrik AG‘ in Düsseldorf gegründet. Motor und Initiator vieler Entwicklungen war Heinrich Ehrhardt, dessen leichtes Feldgeschütz Anfang 1900 gleichsam umwälzende Impulse für Forschung und Fertigung auslöste. Zur technischen Innovation gehört auch die Möglichkeit ausgedehnter Versuche und Erprobungen; deshalb erwarb das Unternehmen 1899 den Schießplatz Unterlüß…«

Originalton Rheinmetall – so sieht das Unternehmen seine eigene Geschichte. Damals wie heute verdiente dieses Unternehmen am Tod fremder Menschen in fernen Ländern.

»1900: Burenkrieg in Südafrika, Boxeraufstand in China, Krieg in Kuba. Mit der Entwicklung der Quantentheorie durch Max Planck wird das neue Jahr­hundert eingeleitet. – Im Zusammenhang mit dem Ansteigen des Sicherheits­bedürfnisses vieler Länder erhält Rheinmetall erste Aufträge aus dem Aus­land.
1904: Nach den Exporterfolgen wird erst jetzt die deutsche Armee mit den neuen Rohrrücklaufgeschützen ausgerüstet.
1914-1918: Der Reichstag bewilligt mit den Stimmen der Sozialdemokraten die Kriegskredite. – Die technologische Spitzenstellung von Rheinmetall bringt Anerkennung bei der politischen und militärischen Führung. Im ersten Welt­krieg sorgt Rheinmetall für Waffen und Munition der deutschen Soldaten…«

Krieg als Aufgabe, Tod als Geschäft und Rüstung als technische Neuerung. Doch auch ein Rüstungskonzern stellt seine Produktion sehr schnell um, wenn die politischen Rahmenbedingungen dies vorschreiben.

»1919: Der Versailler Vertrag: Demontage aller für die Herstellung von Rüstungsmaterial verwendbaren Maschinen in Deutschland.
1920: Außerordentliche Belastung Deutschlands durch hohe Reparationslei­stungen und Inflation. Soziale Spannungen. – Den Möglichkeiten entspre­chend wurde in den Werken Rath und Derendorf (Stadtteile von Düsseldorf, Anm. d. Autors) mit der Produktion ziviler Güter begonnen, wie z. B. Loko­motiven, Waggons, Bergwerks- und Hüttenmaschinen, später auch Eisen­emaillewaren. Im Werk Sömmerda/Thüringen wurden Büromaschinen, spä­ter Kraftfahrzeugteile, Kardan- und Gelenkwellen, Feuerwehrarmaturen, Grau- und Leichtmetallguß produziert…«

Bis zum nächsten Krieg – und damit wirtschaftlichem Aufschwung für Rheinmetall – sollte es nicht lange dauern.

1933 – für viele oder eigentlich wohl für die meisten Menschen als Jahreszahl mit der Machtergreifung Hitlers verbunden – für die Rheinmetall-Geschichtsschreibung fällt in dieses Jahr lediglich die Übernahme der 1837 gegründeten Firma Borsig in den Besitz von Rheinmetall als erwähnenswertes Ereignis.

»1934-1936: Nach Jahren der Depression in Mitteleuropa beginnt sich ein internationaler Wirtschaftsaufschwung abzuzeichnen. – Das Düsseldorfer und das Berliner Unternehmen werden zur ‚Rheinmetall-Borsig AG‘ vereinigt. Da­durch gehören auch Beteiligungen an der ‚Hydraulik GmbH‘ sowie der ‚Laeis-Werke AG‘ zum Konzern. Der allgemein gebräuchliche Name ‚Rheinmetall‘ wird als Firmenname legalisiert…«

Was nicht in der Firmengeschichte steht: Der zweite leitende Direktor von Rheinmetall, Ernst Blume, wurde 1935 Mitglied der NSDAP. Rheinmetall-Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Freiherr von Gemmingen-Hornberg wurde im November 1935 Mitglied und auch die Aufsichtsräte Dr. Karl Guth und Dr. Curt Freiherr von Salmuth waren der NSDAP beigetreten.

1937 holte der leitende Direktor, Otto Paul Caesar diesen Schritt nach. Die Firmenbiographie schreibt

»1937: Weitere Investionen in Berlin…
1938: Österreich wird an das Deutsche Reich angeschlossen. Im Rahmen von Konzentrationsmaßnahmen in der deutschen Wirtschaft übernimmt der Staat die Mehrheitsbeteiligung an der ‚Rheinmetall-Borsig AG‘.
1940-42: Forschung und Entwicklung der ferngesteuerten Geschosse ‚Rheintochter‘ (Ausführung R 1 mit 40 km Reichweite) und der Fernziel-Rakete ‚Rheinbote‘ (250 km). Unter der Leitung von Prof. Waninger arbeiten zeitwei­lig bis zu 2600 Konstrukteure…«

Was Rheinmetall verschweigt, es mußten auch Hunderte von Zwangsarbeitern für den Konzern und Hitlers Krieg produzieren.

Zum Thema Zwangsarbeit liegen erschütternde Dokumente und Zeugenaussagen vor, die der US-amerikanische Autor Benjamin B. Ferencz in seinem Buch über die verweigerte Entschädigung für jüdische Zwangsarbeiter zusammenge­tragen hat.

Über Rheinmetall steht dort u.a.: »Der Internationale Suchdienst besaß eine Liste von mehr als 1000 Frauen, die von Buchenwald zur Arbeit bei Rheinmetall nach Sömmerda abgezogen worden waren. Eine ganze Menge Informatio­nen gab es auch über zwei andere Rheinmetall-Betriebe in Unterlüß und Hun­desfeld bei Breslau… Der Bürgermeister von Unterlüß bestätigte, daß es vier Arbeitslager in der Stadt gab, die russische und polnische Frauen an verschie­dene deutsche Firmen lieferten. Lager I beherbergte 300 Jüdinnen. Andere Quellen legten offen, daß im September 1944 eine Frauengruppe aus dem Get­to in Lodz über Ausschwitz und Bergen-Belsen zur Arbeit nach Unterlüß ver­frachtet wurde. Sie befanden sich noch im Lager, das aus zwei großen Holzba­racken mit einer Aufnahmekapazität von je 400 Personen bestand, als eine ähnlich zusammengesetzte Ladung von 500 bis 600 ungarischen Jüdinnen ein­traf. Rheinmetall hatte die einzige Fabrik in Unterlüß, und die Arbeitslager der Firma, die ständig von Ausschwitz aufgefüllt wurden, beherbergten schät­zungsweise 900 Frauen.

Die Unterlüß-Insassen mußten Schützengräben buddeln, Luftschutzbunker und Straßen bauen und den Untergrund für eine neue Fabrik planieren, die einem anderen Rheinmetall-Betrieb in Neulüß 12 km weiter angegliedert werden sollte. Viele Mädchen arbeiteten am Fließband und füllten Patronen und Granaten mit einem Sprengstoff, der ihre Hautfarbe veränderte. Um dem und dem bitteren Geschmack, der durch das Einatmen der Dämpfe hervorgerufen wurde, entgegenzuwirken, erhielten die Mädchen eine Ration Milch…« (Ein Detail, das bei späteren Entschädigungsanträgen von Überlebenden als wichtiger Beweis für die berechtigten Ansprüche einzelner Frauen erfragt wurde).

»…Informationen über andere Rheinmetall-Lager gingen aus Unterlagen der Verbrechensverfolgung durch die deutschen Behörden hervor. Beispielsweise wurde ein weiblicher SS-Wachposten mit Namen Eva Kowa, die Jüdinnen bei Rheinmetall-Borsig in Hundsfeld bei Breslau zu beaufsichtigen hatte, des Mordes verdächtigt… …Aussagen offenbarten, daß es drei Zwangsarbeitslager in Hundsfeld gab. Eins war für Männer, das zweite für Französinnen, und das dritte für Juden. Die Insassen wurden in der Produktion von Kondensatoren, elektrischen Instrumenten und Kleinteilen für V-2 Raketen beschäftigt, die ge­gen England eingesetzt wurden…
… Am 25. Januar 1945 wurden die Lager von Hundsfeld evakuiert. Drei Tage und drei Nächte trieb man die Insassen durch Schnee und Kälte nach Groß-Rosen. Diejenigen, die stolperten oder hinfielen, wurden erschossen…«

Die Rheinmetall-Geschichtsschreibung auf Hochglanzpapier vermerkt für 1943-1944: »Kriegswirtschaft, Verlagerung von Fertigungswerkstätten in Rich­tung ‚Reichsmitte‘.«
1945: Zusammenbruch. Totales Produktionsverbot.
Demontagen. – Die übriggebliebene fabrikatorische Ausrüstung der Düssel­dorfer Werke wird als Reparationsgut abtransportiert, der Rest verschrottet. »Ein Neubeginn für eine zivile Produktion erscheint vollkommen aussichtslos…«

Doch schon 1951 ging es wieder aufwärts: »Ende November: Erster Aufsichts­rat nach sechsjährigem Schwebezustand. Gründung zweier selbstständiger Unternehmen, ‚Borsig AG‘ in Berlin-Tegel und ‚Rheinmetall AG‘ in Düsseldorf.«

Das Unrecht der Anderen wird von Rheinmetall durchaus vermerkt:

»1956: Ebenso wie in der DDR 1953 schlagen sowjetische Truppen den Auf­stand ungarischer Arbeiter und Intellektueller nieder. Die Wiederaufstellung deutscher Streitkräfte im Rahmen des Atlantischen Verteidigungsbündnisses wird vom Deutschen Bundestag beschlossen. Im Zuge der Reprivatisierung von Bundesvermögen wird Rheinmetall von der Firma Röchling’sche Eisen- und Stahlwaren GmbH, Völklingen/Saar, übernommen. Das Hauptaufgabengebiet ist zunächst noch die Verwaltung der übriggebliebenen Beteiligungen…«

Über die im Dienste von Rheinmetall zu Tode geschundenen oder mit Rheinmetall-Waffen getöteten Menschen – keine Silbe. Krieg ist Geschäft, nicht Grausamkeit. Rheinmetall weigerte sich lange Zeit, auch nur die geringste Entschädigung für die Zwangsarbeiter zu zahlen.

Die »Bild«-Zeitung zitierte einen Rheinmetall-Sprecher am 15.2.1966 mit den Worten: »Wir sind zwar die Rechts-Nachfolger der Firma Rheinmetall-Borsig, die während des Krieges KZ-Häftlinge beschäftigte. Wir sind auch bereit, Ansprüche, die aus dieser Zeit stammen, zu befriedigen. Allerdings müssen diese Ansprüche bewiesen werden«.

Schließlich wurde tatsächlich die geringe Summe von 1 Million DM gezahlt. Dem stand jedoch ein weitaus größeres Geschäft im Wert von rund 300 Millionen Mark mit der US Army gegenüber. Den Zusammenhang stellte Rheinmetall selbst her. Ferencz schreibt: »Als nämlich Hermann Langbein vom Inter­nationalen Auschwitz-Komitee wenige Jahre später Rheinmetall um eine Zah­lung für die nichtjüdischen Arbeiter bat, wurden seine wiederholten Bitten mit dem Argument zurückgewiesen, daß es weder eine rechtliche noch eine morali­sche Verpflichtung gebe, für Dinge zu zahlen, für die das ‚Reich‘ verantwort­lich sein dürfte. Auf seine Bemerkung hin, daß Rheinmetall eine Zahlung an die jüdischen Überlebenden geleistet habe, antwortet ein Vorstandsmitglied: ‚Bei dieser Gelegenheit halten wir es für zweckmäßig, noch einmal ausdrück­lich darauf hinzuweisen, daß die Ihnen bekannte Zahlung an die Jewish Claims Conference allein im Hinblick auf einen uns in Aussicht gestellten Auf­trag erfolgt ist.‘ … Den Firmenleistungen stand demnach eine Gegenleistung gegenüber…« Dieses Rheinmetall-Schreiben trägt das Datum 6.3.1969. Zu dieser Zeit setzte die Rheinmetall-Gruppe – lt. Firmengeschichte – »244,1 Mio. DM um. Davon geht ein Drittel in den Export.«

Längst war Rheinmetall wieder voll im Geschäft, erwirtschaftete Gewinne für die Röchling-Familie, andere Anteilseigner – aber auch für die am Gewinn beteiligten Arbeitnehmer.

Zur Unternehmenschronik, aus der hier zitiert wurde, meinte der 1985 ausgeschiedene Vorstandsvorsitzende Dr. Hans L. Höckel: »Die aufgezeichnete Chronik von Rheinmetall ergäbe ein Geschichtsbuch, das sicher mehr erklärt und deutlich macht als manches Buch eines professionellen Historikers«. Der Mann meint das ernst, was er schreibt. Aufklärend ist die Geschichtsver­drängung bei Rheinmetall sicherlich. Die hauseigene Firmenchronik macht vie­les von der Rheinmetall-Ideologie deutlich.

Aber auch Kurt Flohr, langjähriger Vorsitzender des Konzernbetriebsrates der Rheinmetall Berlin AG und des Betriebsrates der Rheinmetall GmbH, Düssel­dorf erwähnt die Zwangsarbeiter mit keinem Wort. Seine Sorge gilt einzig und allein dem guten Betriebsklima und der Gewinnbeteiligung.

Für den Betriebsrat gilt: »Der Mensch steht im Mittelpunkt. Denn nicht die Maschine, die für die Arbeit unseres Unternehmens erforderlich ist, sondern erst die Mitarbeiter mit ihrer qualifizierten Leistung erbringen die Erträge… …Ohne Schulterklopfen: Mit dem Erreichten können wir zufrieden sein. … Als Rheinmetall 1957 zu neuem Leben erwachte, konnte das Unternehmen nicht sofort alle seiner Zeit geforderten Leistungen verkraften. Aber durch den konjunkturellen Aufschwung Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre war es bald möglich, die Mitarbeiter bei Rheinmetall am Erfolg des Un­ternehmens teilhaben zu lassen. Damit wurde der Lebensstandard aller Kolle­ginnen und Kollegen gehoben…
Im Rahmen der hier skizzierten Interessenvertretung der Arbeitnehmer ist auch die Mitbestimmung anzusprechen. … Mitbestimmung heißt … im besten Sinne des Wortes Mitverantwortung.«

Mitverantwortung? Wofür? Diese Fragen müßten sich auch die Rheinmetall-Mitarbeiter stellen.

Literaturhinweis
Benjamin B. Ferencz: Lohn des Grauens – Die verweigerte Entschädigung für jüdische Zwangsar­beiter. Campus Verlag, Frankfurt/Main 1981, 283 Seiten.
Die Zeit schrieb: »Das Buch ist ein eindrucksvolles und den Leser aufwühlendes Dokument. Nach seiner Lektüre von 1945 als der ‚Stunde Null‘ zu sprechen, erscheint zumindest fahrlässig…« Dem schließen wir uns an und möchten auf die Passagen über die Geschichte von Rheinmetall verweisen, in der wesentliche Zitate dem Buch Ferencz entnommen sind. »Lohn des Grauens« ist zum Verständnis bundesdeutscher Politik und Geschichte ein grundlegendes Werk.

Zum ehemaligen KZ-Außenlager Tannenberg bei Unterlüß siehe:
https://found-places.blogspot.com/2018/02/das-ehemalige-kz-auenlager-tannenberg.html

Annette Hauschild und Helmut Lorscheid: Ermittlungen gegen Rheinmetall. Rüstungsexporte vor Gericht. Forum Europa Verlag, 1987 [Download, pdf, 12 MB]