Communiqué von Rheinmetall Entwaffnen zum Gazakrieg

#StopWar
Der brutale Krieg in Palästina und die mit diesem einhergehenden Kriegsverbrechen müssen sofort gestoppt werden! Als antimilitaristisches Bündnis „Rheinmetall Entwaffnen“ haben wir uns hierzu einen aktuellen Diskussionsstand als Grundlage unserer Zusammenarbeit erarbeitet, den wir hiermit transparent machen wollen. Für unsere Praxis in Deutschland bedeutet dieser insbesondere:

– Wir streiten für ein Ende der Waffenlieferungen aus Deutschland nach Israel, mit denen deutsche Rüstungskonzerne Millionenprofite am Leid der Palästinenser:innen verdienen. So sind unter anderem Panzerfäuste und Munition im Gazakrieg eingesetzt worden, die Ende 2023 von Deutschland nach Israel geliefert wurden.

– Unser Widerstand richtet sich ebenso gegen die verheerende Komplizenschaft der BRD mit der israelischen Kriegspolitik. Wir stellen uns gegen die deutsche Außenpolitik, die behauptet, auf Werten zu basieren, aber von strategischen politischen Interessen angetrieben wird – und damit Kriegsverbrechen aus machtpolitischem Kalkül militärisch wie politisch unterstützt und letztlich auch ermöglicht.

– Auf der Straße und auf Veranstaltungen treten wir gemeinsam mit Palästinenser:innen, Jüd:innen und vielen Kriegsgegner:innen gegen den menschenverachtenden Kriegszustand ein. Dabei sind wir verpflichtet, solidarische Antworten auf staatliche Repressionen zu entwickeln. Dabei stehen wir als Bündnis „Rheinmetall Entwaffnen“ klar zu unseren grundlegenden Verständigungen: Unsere Antworten auf den zerstörerischen Krieg im kapitalistischen und patriarchalen System sind internationale Solidarität von unten, Feminismus, Antifaschismus und der Kampf für den Erhalt der Erde.

#StopArmingIsrael
Als Bündnis „Rheinmetall Entwaffnen“ kämpfen wir vorrangig gegen die Verhältnisse im eigenen Land. Wir setzen uns für den Stopp der Waffenexporte aus Deutschland nach Israel ein und vertreten dieselbe klare Linie als Baustein internationaler Solidarität, wie auch in anderen Kriegen. Unsere Proteste richten sich gegen die Profiteure der Kriegsindustrie hier vor Ort, denn wir werden zum Geschäft mit dem Tod nicht schweigen, das immer derselben Logik folgt: Hier werden die Gewinne eingestrichen, als Resultat von tausendfachem Leid und Zerstörung anderswo auf der Welt. Auf darauffolgende Fluchtbewegungen reagieren die Staaten im globalen Norden mit einer rassistischen Abschottungspolitik, an der die Rüstungsindustrie ein zweites Mal verdient.

Ob die Exporte genehmigt werden, ist eine politische Entscheidung, die den Machtinteressen der Herrschenden folgt. Während vor wenigen Jahren zumindest noch behauptet wurde, dass keine Waffenexporte in Kriegs- und Krisengebiete außerhalb von EU und NATO genehmigt werden, hat dies zu Zeiten des Kriegs in der Ukraine und in Gaza keinerlei Bedeutung mehr. Die deutsche Regierung bezieht mit der Lieferung von Waffen sowie Panzer- und Artilleriemunition an Israel klar Partei, während die Berichte über massive Kriegsverbrechen an Palästinenser:innen tagesaktuell zu sehen sind.

Zugleich findet die Forderung nach einem sofortigen Stopp der Waffenlieferungen nach Israel breite Unterstützung: Mehr als 80 NGOs fordern die Bundesregierung zu diesem Schritt auf. Selbst Beamt:innen aus deutschen Ministerien haben inzwischen diese Forderung intern kommuniziert, während Klagen beispielsweise von Südafrika und Nicaragua auf juristischem Weg darauf abzielen und dabei die Kriegsverbrechen und ihre Unterstützer:innen thematisieren. Teile der pro-palästinensischen Bewegung sowie der radikalen Linken protestieren inzwischen verstärkt gegen die Waffenlieferungen aus der BRD. Die Breite der unterschiedlichen Akteur:innen und Aktionsformen, die an dieser Frage zusammenkommen, machen uns – trotz der Not der Zivilbevölkerung in Gaza – etwas Hoffnung. Diese gemeinsame Stoßrichtung kann politischen Druck entwickeln, um die Linie der „bedingungslosen Solidarität mit Israel“ der deutschen Regierung zu brechen.

Geschichte und Gegenwart
Wir weisen eine Erzählung zurück, die den Konflikt an einem Oktobertag im Jahr 2023 beginnen lässt, um die brutale Reaktion Israels und die über 37.000 Toten, darunter über 13.000 Kinder, in Gaza zu rechtfertigen. Die Situation in Palästina war schon lange vor dem Krieg zugespitzt. Der gegenwärtige Gazakrieg ist die Eskalation eines Konflikts, der seit rund 100 Jahren besteht und nur im kolonialen Kontext zu erklären ist. Denn Machtinteressen der kapitalistischen Staaten – insbesondere der NATO – blockieren seit jeher Lösungswege in der Region. Wollen wir den Krieg richtig einordnen, müssen wir über diesen Kontext reden.

Siedlerkolonialismus und Zionismus, die einen exklusiven jüdischen Staat gegen andere Bevölkerungsgruppen durchsetzen wollen, führen zu Vertreibung, Unterdrückung und Widerstand. Unsere Parteinahme und unsere Solidarität gegen den Krieg, gegen die Vertreibung, die Besatzung und Belagerung und gegenüber den Betroffenen, der durch Israel ausgeübten Gewalt, macht es aus unserer Sicht zugleich nötig, über den 7. Oktober zu sprechen. Die Gräueltaten in Gaza dürfen nicht dazu führen, dass Verbrechen unsichtbar gemacht werden, die von palästinensischen Akteuren wie der Hamas begangen wurden.

Wir werden nicht zu Massakern, Geiselnahmen und Inhaftierungen in Foltergefängnissen, zu Angriffen gegen die Zivilbevölkerung, sowie zu sexualisierter Gewalt an Frauen* schweigen und erkennen das Leid der Betroffenen und ihrer Familien auf allen Seiten an.

Auch wenn uns die Asymmetrie, die ungleichen Macht- und Gewaltverhältnisse in Palästina/Israel bewusst sind, glauben wir, dass die Anerkennung der Realität und des Leids der jeweils anderen ein nötiger Schritt auf dem Weg zu einem gerechten Frieden ist. Ein Frieden, den es nur mit Gerechtigkeit und Befreiung von Unterdrückung, sowie mit dem Ende der Besatzung geben kann.

Internationale Solidarität
Internationalismus ist für uns untrennbar mit einem politischen Kampf um Befreiung von Unterdrückung verbunden. Wir sind ein Bündnis, das Protest und Widerstand gegen das globale Kriegsregime organisiert und sich dabei auf der Seite der arbeitenden Klasse den Spaltungen entgegenstellen will, die vom kapitalistischen und patriarchalen System ausgehen. In diesem Sinne stehen wir gemeinsam mit allen, die von Krieg und Gewalt betroffen sind und für eine andere Welt kämpfen.

Wir sprechen niemandem das grundsätzliche Recht auf einen bewaffneten Widerstand gegen Besatzung ab. Vor allem nicht mit der Perspektive aus Deutschland, schließlich ist uns bewusst, dass der kapitalistische deutsche Staat mit (militärischer) Gewalt die globale Ausbeutung sichert. Wir sind kein pazifistisches Bündnis, sondern orientieren uns an gemeinsamen politischen Visionen und Werten. Ein gutes Beispiel dafür ist unsere Solidarität mit der kurdischen Freiheitsbewegung, die nicht von ihren bewaffneten Selbstverteidigungskräften zu trennen ist.

Ihre politische Stoßrichtung mit der dreiteiligen Agenda Basisdemokratie, Frauenbefreiung und Ökologie ist greifbar und spiegelt sich in der Praxis wieder. So führt beispielsweise die (imaginierte) Homogenität in Nationalstaaten nach ihrer Analyse zur Vertreibung und Auslöschung des Anderen. Deshalb zielt die kurdische Freiheitsbewegung um die PKK ausdrücklich auf Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der verschiedenen Ethnien, Religionen und Sprachen, nicht um die Konkurrenz und Vorherrschaft eines Volkes über das andere. Das ist wegweisend.

Im Gegensatz dazu verkörpert die Hamas einen religiösen Reaktionismus und kann für uns schon deshalb im Kampf um Befreiung kein Verbündeter sein. Also ist sowohl die extrem rechte israelische Regierung als auch die Hamas Teil des Problems, Teil des Systems der Unterdrückung.

Da der Widerstand gegen die israelische Unterdrückung der Palästinenser:innen nicht von einer wirkmächtigen linken Organisation angeführt wird, sind wir darauf angewiesen, in der Praxis verschiedene Akteur:innen kennen- und verstehen zu lernen. Es gibt für uns sowohl palästinensische als auch israelische Aktivist:innen, die mit vielfältigen Mitteln für ein Ende des Krieges, ein Ende der Besatzung und ein freies Leben ohne Vertreibungen streiten, wie z.B. Graswurzelbewegungen, feministische Gruppen oder Kriegsdienstverweigerer:innen, die Gefängnis oder Repression riskieren. Sie sind unsere Verbündeten. Wie und mit welchen Mitteln sie ihren Widerstand führen, entscheiden sie selbst. Wir werden auf diesem Weg mit offener Haltung weitergehen und neue Verbindungen eingehen. Aus unserer Sicht kann die abgeänderte und erweiterte Parole die Diskussion um Visionen voranbringen: „From the river to the sea – everyone should be safe, equal and free.“1

Uns verstehen lernen
Wir wollen eine klare Sprache gegen den Krieg dazu benutzen, vielfältige Aspekte sichtbar zu machen und zu verstehen – und nicht, um uns voneinander abzugrenzen. Deswegen beteiligen wir uns nicht an einer Diskussionskultur, die die Verwendung oder Nichtverwendung von einzelnen Begriffen dazu nutzt, Personen(gruppen) ein- oder auszugrenzen.

Wir benutzen im Bündnis unterschiedliche Begriffe, um den Zustand von Leid, Unterdrückung und Krieg in Palästina zu beschreiben. Wenn einige von uns z.B. von „Genozid“ sprechen, dann führen wir aus, was wir konkret damit meinen. Gleichzeitig finden wir es wenig hilfreich, Äußerungen ausschließlich daran zu messen, ob sich etwa bereits im ersten Absatz von der Hamas distanziert wird. Viel wichtiger finden wir es, zu verstehen, warum manchen Begriffe wie „Apartheid“ einerseits oder „Massaker“ andererseits wichtig sind und welche Bedeutung sie ihnen zuschreiben. Der Begriff „Apartheid“ z.B. beschreibt für einige von uns treffend die alltägliche strukturelle rassistische Erfahrung von Palästinenser:innen. Zugleich gibt es Gründe, warum andere von uns das verstehen, aber selbst einzelne Begriffe nicht benutzen.

Mit Blick auf die dringliche Notwendigkeit, Allianzen gegen Krieg und Unterdrückung auszubauen, sprechen wir uns für Dialoge aus (auch wenn sie anstrengend sind), statt mit Boykottaufrufen Diskussionsräume zu verschließen. Wir brauchen Bewegungen gegen das kriegerische System, in Palästina/Israel genauso wie überall auf der Welt.

In Deutschland hat sich in vielen Städten eine meist säkulare und inklusiv ausgerichtete pro-palästinensische (Soli-)Bewegung etabliert. An verschiedenen Orten sind gemeinsame Proteste gegen Rüstungsexporte gute Ausgangspunkte für eine Zusammenarbeit gegen Krieg und Militär.

Antisemitismus und Rassismus
Während Gaza angegriffen wird und sich die katastrophale Lage für die Zivilbevölkerung immer weiter zuspitzt, nehmen wir wahr, dass sich Angriffe auf jüdische Menschen und Institutionen auch in Deutschland häufen. Wenn Jüd:innen als Projektionsflächen für die Verbrechen der israelischen Regierung genutzt und als Feinde markiert und angegriffen werden, dann ist das Antisemitismus, der von uns ohne Wenn und Aber bekämpft werden muss.

Zugleich wollen wir betonen, dass Antisemitismus zunächst einmal ein christlich-europäisches, damit auch ein deutsches Phänomen ist. Dieser ist global in allen Gesellschaften und nicht zuletzt vor allem auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft verbreitet und verankert und muss entsprechend bekämpft werden. In diesem Kontext stellen wir uns entschieden gegen den rassistischen Diskurs, der Protest gegen den Gazakrieg und die israelische Besatzungspolitik als angeblich antisemitisch umdefiniert und sich dadurch gleichzeitig selbst von der historischen Schuld und dem Vorwurf des eigenen Antisemitismus reinwaschen will. Im Zuge dieses Diskurses verschärft sich der antipalästinensische, antiarabische und antimuslimische Rassismus in Form von Stigmatisierungen, politischer Unterdrückung und gewalttätigen Übergriffen auf der Straße als Ausdruck der bedingungslosen Unterstützung Israels durch die BRD auch hierzulande. Wir stehen an der Seite der davon Betroffenen und stellen uns diesen Entwicklungen entgegen. All dies sollen auch unsere Demos und Aktionen ausstrahlen. Nur gemeinsam werden wir den Kampf für Frieden und Gerechtigkeit in Israel und Palästina führen können.

Repression und Widerstand
Wir kritisieren grundsätzlich die hegemoniale Gewalt, die von kapitalistischen Nationalstaaten ausgeht. Wir kritisieren den israelischen Staat wegen des Kriegs gegen Palästinenser:innen, so wie wir auch den türkischen Staat wegen des Kriegs gegen Kurd:innen kritisieren. Wir akzeptieren nicht, wenn diese Kritik als „antisemitisch“ abgewertet wird, wie dies von staatlicher Seite und vielen Medien geschieht. Die vergangenen Monate haben einmal mehr gezeigt, dass viele Jüd:innen die Verbrechen und das Leid in Palästina sehen und dagegen aktiv sind und sich dagegen wehren von der BRD und dem israelischen Staat für den brutalen Krieg instrumentalisiert zu werden.

Das Verbot des Palästinakongresses im April in Berlin, sowie die Räumungen der Uni-Besetzungen und die mediale Hetze gegen die Protestierenden sind bekannte Beispiele staatlicher Repression. Dass diese Repression zur Verbreiterung der Bewegung führt und nicht zu deren Isolation und Marginalisierung, ist ein Zeichen der Stärke und der Vielfalt.

Diese Repression ist staatlich initiierter Rassismus, der im größeren Kontext des autoritären Umbaus der Gesellschaft abläuft. Wenn jetzt drastische Entscheidungsbefugnisse zur Versammlungsfreiheit, beispielsweise von der Berliner Innensenatorin, ohne Aufschrei getroffen und von der Polizei durchgesetzt werden, ist dies Ausdruck des andauernden gesellschaftlichen Rechtsrucks. Wenn wir diesem Fortschreiten nichts entgegen setzen, brauchen wir uns nicht wundern, wenn bald ein AfD-Innenminister entscheidet, wie wir morgen demonstrieren dürfen. Auch in diesem Sinne wollen wir solidarisch gegen Repressionen sein, auch wenn wir nicht alles unterschreiben können und wollen, was auf staatlich verhinderten Veranstaltungen gesagt wurde oder hätte gesagt werden sollen.

Zusammen gegen Krieg und Militär
Auf unserem Camp und den Aktionstagen im September in Kiel wird es, wie in den vergangenen Jahren, um vielfältige antimilitaristische Themen gehen. Wie in der Vergangenheit soll der Umgang und das Miteinander auf unserem Camp davon geprägt sein, Widersprüche solidarisch zu behandeln. In diesem Sinne wird, neben vielen anderen Schwerpunkten, auch der Widerstand gegen den Gazakrieg einen kraftvollen Ausdruck auf dem Camp und auf der Straße finden – sowohl thematisch als auch aktionistisch. Wir laden alle, die gegen den Krieg und in Solidarität mit Palästina auf der Straße sind, dazu ein, sich auf der hier skizzierten Grundlage aktiv am Rheinmetall-Entwaffnen-Camp und den Aktionen und Demonstrationen drum herum zu beteiligen.

Kommt zum Rheinmetall-Entwaffnen-Camp im September 2024 nach Kiel!

Rheinmetall Entwaffnen, Juli 2024


  1. Hier beziehen wir uns auf einen Vorschlag von Osama Elewat von der palästinensisch-israelischen Friedensbewegung „Combatants for Peace“ im Gespräch mit Rotem Levin am 24. Januar 2024 in Frankfurt am Main. ↩︎