Blockadetag in Kassel

Ein Überblick über den ganzen Tag in einem Video. Danke, dass ihr alle mitgemacht habt.

Am 28. August 2020 wurden zahlreiche Redebeiträge gehalten. Die Themen waren sehr vielfältig – von Rojava über Feminismus bis zu Antifaschismus (in Kassel mordete der NSU). Nachfolgend ist exemplarisch einer der vielen Reden dokumentiert. Sie stammt von einen iranischen Freund, in dessen Körper sich bis heute zahllose Splitter deutscher Waffen befinden.


Liebe Menschen,

ich bin froh mit Euch hier zu stehen, um unsere Stimme gegen die mörderische Waffenindustrie und gegen ihr politisches System gemeinsam lauter werden lassen. Ich bin heute hier, weil ich seit 39 Jahren unzählige deutschen Splitter in meinem Körper trage, weil mich ihr Schmerz und deren Gespenst Tag und Nacht begleitet. Das Gespenst vom Weltmeister der Waffenindustrie: Deutschland.

Ich stelle hier die Folgen der Unmenschlichkeit dieses System als Zeitzeuge dar und will dieses Verbrechen, vom kleinen Handgranaten-Splitter bis zum Panzer mit Euch anklagen, um die Welt wissen zu lassen, was für eine Reichweite der Tötung und Zerstörung des Lebens nun nur durch die kleinen Handgranaten „made in Germany“ hat.

Manche von Euch erinnern sich wahrscheinlich noch an die iranische Revolution 1979. Ein langjähriger Diktator, ein Diener militärischer und wirtschaftlicher Interessen des Westens, der Schah, musste gehen, wie 1979 in Guadeloupe vom Westen beschlossen wurde. Der Winter 1979 war sehr hart, u.a. mit Öl – und Lebensmittel Knappheit. Lange Schlangen überall und auch an jeder Tankstellen. Dies in einem Land, das zu den größten Öl -Lieferanten der Welt gehört.

Wir hatten Freude und Hoffnung, weil wir den Frühling unserer Freiheit gestalten wollten. Ja, der Frühling der Freiheit, wir waren froh, unser Haben und unser Nichts miteinander zu teilen unsere Gegenwart und Zukunft selbstbestimmt in der Stadt, in den Fabriken, in den Schulen, in den Universitäten,…in allen Orten zu gestalten. Die gestalterische Praxis und die Diskurse bewegten und bebten in jede Ecke, in den Tagen und Nächten, in den Wochen und Monaten des Protests. Wir hatten immer mehr Hoffnung geschöpft, Wir waren eine Bewegung von Millionen Menschen mit der Hoffnung auf eine Zukunft mit Freiheit, ohne Ausbeutung, ohne Verfolgung, ohne Verhaftung, ohne Folter, ohne Foltergeräte und OHNE Waffen.

Ein Mullah Namens Chmeini tauchte in Frankreich auf und bekam für die weiteren Verhandlungen Aufenthalt und übernahm die Macht im Iran von Paris aus agierend. Der neue Machthaber blieb dem alten System nicht nur treu, sondern lernte, noch mehr zu töten und noch besser und vertrauter als Abnehmer der deutschen Waffenindustrie zu dienen, wie z. B. im Iran-/Irakkrieg; 8 Jahre, 96 Monate, also 2920 Tage und Nächte, mit Chemiewaffen, Raketen, Panzern, Minen, Handgranaten,… die Liste ist lang,… die Firmen sind hier; in Kassel und in Deutschland .

Die islamischen Machthaber im Iran setzten eine Tradition fort. Eine Tradition der begonnenen Handelsbeziehungen aus der Weimarer Republik, die 1933 durch die Zusammenarbeit und dem Handel mit Nazi-Deutschland ihren Höhepunkt erreichte. Das islamische Regime knüpfte und knüpft an diese faschistische Tradition an.

Als das islamische Regime 1980 den Befehl für die sogenannte Kulturrevolution erließ, wurde Tausenden klar, dass es sich um die völlige Säuberung aller Institutionen und öffentlicher Einrichtung handelt; die Entrechtung der Minderheiten, der Frauen, der Vertretungen der Belegschaften in Fabriken, in SchülerInnenverbänden, in Universitäten und bei der Fakultätsvertretungen bis zum Berufsverbot. Viele dieser Institutionen wurden geschlossen und enteignet.

Es handelte sich um das Zerschlagen der Bewegung und des Widerstands im Iran, die sich schon formiert und Verantwortung übernommen hatte. Das Land fieberte nach der Ausweitung dieser Freiheiten, während die neuen Machthaber mit Hilfe des alten Systems mit ihrem Straßenterror organisierter und brutaler vorgingen.

Am 21.4.1981 kamen tausende von Menschen vor der Freien Universität Teheran zusammen um gegen diese Kulturrevolution zu protestieren. Wir waren mehrheitlich Schüler*innen und Studentinnen, jedoch auch viele andere aus der Bevölkerung, die dem Aufruf eine der Schüler- und Studentischen Verbände – Dal- Dal folgten. Unsere geschlossenen Universitäten sollen geöffnet werden, die Unis müssen befreit werden; lauteten unsere Forderungen.

Es war ein Frühlingstag, Kurz nach Beginn der Kundgebung, bevor der Demonstrationszug sich in Gang setzte, wurden deutsche Handgranaten in die Menge geworfen; 2 bis 3 Sekunden lange Explosion! Es hagelten die Splitter vom Boden in die Menschenmenge, wie eine Bombe aus dem Boden. 3 Tote und mehr als 190 Verletzte waren die Folge dieses Verbrechens. Ein blutiger Tag mit Verfolgungsjagd bis in die Krankenhäuser hinein, um die Verletzten zu verhaften, zu foltern und zu töten, weil sie nach Freiheit gerufen hatten. Drei Tote: Irag 22, Azar 17, Morgan 16 Jahre Jung.

Mit wie vielen Metallsplittern -made in Germany- bzw. unter welch grausamen Umständen diese Menschen ihren Lebenskampf aufgeben mussten, kann ich nicht beschreiben, ich war selbst fast tödlich verletzt. Erst nach der Entfernung von 37 Splittern konnte ich meine Hände und Füsse nach 2 Monaten bewegen und mich ins Inland flüchten.

Ich weiß als Überlebender, dass diese Fremdkörper nicht nur im Körper schmerzen, sie tun bis in meiner Seele hinein weh.

Ich bin 67, mit 67 Splittern in meinem Körper, ich habe sie 1984 nach Deutschland zurückgebracht, in dem ich nach dem §16 des GG. „politisch Verfolgte geniessen Asyl.“ PUNKT, Asyl bekommen habe, als der Punkt hinter diesem Artikel noch nicht aufgehoben war.

Dieser Punkt wurde in den 90er Jahren nach dem öffentlichen Parolen eines Schreibtischtäters, ein Deutscher Kanzler aufgehoben, der sagte; „das Boot ist voll“. So ersetzte dann Komma den Punkt hinter dem §16. des GG. Jetzt heißt der § 16a „politisch verfolgte geniessen Asyl, wenn,… aber und und ,… UND.
Dann brannten in Mühlen und Solingen Häuser, Nach den Pogromen der 90er Jahre kamen die NSU- Morde hinzu, die lange als Döner-Morde galten! Heute heisst es NSU 20 mit ihrer Vernetzung im Staatlichen System.

Vor ungefähr 2 Monaten, am 21. Juni 2020, nach 39 Jahren, hat sich eine Gruppe iranischen ExillantInen gebildet, die gegen dieses Verbrechen der deutschen Waffenindustrie und dem Islamischen Regime vorgehen möchte. Eine Gruppe von Zeitzeugen deren Leben seit diesem Tag keine Ruhe gefunden hat, viele von ihnen tragen deutsche Splitter in ihren Körpern und leben überall auf der Welt in der Diaspora. Die Gruppe heißt Splitter im Exil – Made in Germany.

Ich darf Euch von meinen anderen Zeitzeugen, von den Angehörigen der ermordeten und den unterstützenden Mitkämpferinnen grüßen,
wir freuen uns, dass wir unseren 1. öffentlichen Schrei und die Anklage mit Euch teilen dürfen, mit Euch diesen Weg der Befreiung gehen, um zu erfahren ob, dieses Land von seiner Geschichte lernt? Ob, Deutschland und Europa aus der Geschichte lernen? Wenn ja, was machen sie mit den Waffen? Lagern sie in ihren Wohnzimmer? Bestimmt nicht, so wie Horst Köhler im Mai 2010 zu Verstehen gab, dass militärische Einsätze Deutschlands den Interessen und der Freihaltung der deutsche Handelswege diene“.

Alles für den deutschen Wohlstand? Ein Blutiger Wohlstand? Ein Wohlstand auf Kosten der Leben von Anderen?

Heute und hier haben wir eines gemeinsam, eine traditionstreue Tötung anzuklagen ebenso liegt uns am Herzen, dass sich hier in der Bundesrepublik Deutschland eine weitere Tradition, eine Herstellungstradition, wie die der Firma Topf und Söhne nicht fortsetzt.

Ich wünsche mir und uns, dass hier in Kassel angefangen wird diese Produktionsstädte abzubauen und dass die Bundesrepublik die Verantwortung übernimmt und ein menschentötendes System abbaut, anstatt sich mit ihren Heucheleien über die Menschenrechte zu beschäftigen.

Danke – Es ist wunderbar und schön, dass es Euch HIER gibt!