Solidarität mit allen vergangenen und zukünftigen Deserteur*innen!

Lasst uns den Krieg verraten! Hoch die internationale Solidarität!

Die Massendesertationen und Kriegsdienstverweigerungen in den Kriegen dieser Welt machen uns Mut und Hoffnung. Das mit dieser Verweigerung verbundene „Nein“ zu Gehorsamkeit und „Nein“ zu autoritärer Fügung birgt ein weit größeres widerständiges Potential in sich, das nicht nur Putin in Russland fürchtet, sondern auch die westlichen Regierungen erzittern lässt. Denn wer desertiert, wer sich dem Krieg und seiner Grausamkeit entzieht, wer dabei aus politischen oder persönlichen Gründen nicht mitmacht, sagt – ob bewusst oder unbewusst – auch den damit verbundenen Herrschaftsverhältnissen und vermeintlichen Tugenden den Kampf an! Wer desertiert, verrät den Krieg und die mit ihm verbundenen Machtstrukturen!

Rassismus und Klassenhass im Kanonenfutter

Die imperialistischen Kriege dieser Welt werden noch immer um Ressourcen, Einflusssphären, Handelswege und Kontrolle von Menschen und ihren Bewegungen geführt. Schmackhaft gemacht werden sollen uns in Deutschland die Beteiligung in diesen Kriegen oder die Parteinahme für eine Seite dieser Kriege durch ideologische moralische Aufladungen für eine vermeintlich größere Sache. Hier werden wahlweise die Frauenrechte wie in Afghanistan, der Krieg gegen den Terror wie im Irak oder Mali oder die (neoliberale) Freiheit wie in der Ukraine angeführt. Die jeweilige Gegenseite wird moralisch zum absoluten Bösen stilisiert, wobei eine Analyse der zugrunde liegenden lokalen wie globalen Dynamiken, Vorgeschichten und Herrschaftsverhältnissen, innerhalb derer der Krieg geführt wird, völlig ausgeblendet wird. In der Folge wird eine Lösung für die realen Probleme der lokalen Bevölkerung nicht mehr jenseits der Zuspitzungen durch die großen Kriegsparteien diskutierbar. Ohne sich tiefer mit dem jeweiligen Krieg zu beschäftigen, wird völlig undurchsichtig, welche lokalen Konflikte, welche globalen Kräfte und Interessengegensätze zu treibenden Kräften der aktuellen Kriege werden und wie linke, emanzipatorische lokale Gegenantworten darauf aussehen können.

In diesen Blockstellungen von brutalen, imperialen, nationalistischen Interessengegensätzen werden Deserteur*innen zu den relevanten Bezugspunkten für uns, da sie deutlich machen, dass sie sich der vorherrschenden Zuspitzung, sich für Pest oder Cholera entscheiden zu müssen, zum Trotz auf keine der Seiten stellen und nicht bereit sind für imperiale, patriarchale, rassistische, kapitalistische und nationalistische Ideen zu sterben oder zu morden. Wenn wir von Desertation sprechen, meinen wir die beiden rechtlich unterschiedlichen Formen von „Desertation“ (auch „Fahnenflucht“) und „Militärdienstentzug“. Beides bedeutet, sich einem Krieg zu verweigern und dabei Repression in Kauf zu nehmen. Dennoch möchten wir einmal die Begrifflichkeiten klären: Deserteur*innen sind bereits in den Militärdienst eingezogen und fliehen dann aus der Armee oder ergeben sich freiwillig der gegnerischen Armee. Militärdienstverweigerer*innen sind Menschen, die sich einer Rekrutierung oder Mobilmachung entziehen, zum Beispiel durch Flucht ins Ausland.

Wer bereit sein soll, für einen imperialistischen Krieg zu morden und zu sterben, wird vom System festgelegt. In den meisten Staaten trifft es erst einmal Personen, die von diesen als Männer erfasst werden. Wir werden diese im Folgenden in der rein männlichen Form benennen, sofern es sich um den staatlichen Zugriff auf diese Personen als männliche Soldaten handelt. An den Stellen, an denen wir nicht über den staatlichen Zugriff auf Personen, sondern über die realen Subjekte sprechen, verwenden wir wiederum die gegenderte Form: Z.B. Deserteur*innen, die nicht als Männer desertieren, sondern als Menschen mit unterschiedlicher Genderidentität.

Die derzeitige russische Teilmobilmachung, die am 21. September 2022 verkündet wurde, richtet sich beispielsweise bisher an 300.000 männliche Reservisten. Hinzu kommt ein rassistisches Moment. Vor allem wurden Männer aus russischen Regionen einberufen, in denen vornehmlich ethnische Minderheiten leben. Vor allem in abgelegenen autonomen Gebieten in Sibirien und im Nordkaukasus wurden massenhaft Einberufungsbefehle verkündet. Die Einberufungsbefehle an Männer in den Metropolen Moskau und St. Petersburg sind zahlenmäßig viel geringer, was ebenso auf die Todeszahlen zutrifft. Auf eine*n im Krieg gestorbenen Moskauer*in kommen zum Beispiel 87,5 Dagestaner*innen, 275 Burjat*innen und 350 Tuviner*innen.

Dementsprechend wird immer wieder deutlich, dass in imperialistischen Kriegen vor allem die Unerwünschten und Marginalisierten als Kanonenfutter verheizt werden, in denen es letztendlich doch nicht um ihre Interessen geht. Dies trifft bei weitem nicht nur auf Russland zu, sondern ist in unterschiedlichen historischen und nationalstaatlichen Kontexten zu beobachten. Bereits während des Zweiten Weltkriegs kämpften nicht nur die Bürger der kriegsführenden Staaten unter ihrer Flagge. Vor allem wurde auch die jeweilige männliche Bevölkerung aus den damals noch existierenden Kolonien zum Morden gezwungen. Millionen Soldat*innen aus Afrika, Asien und Ozeanien haben dadurch in diesem Krieg gekämpft. So sollten sich Rekrut*innen aus den Kolonien nicht nur aus rassistischen Gründen mit weniger Sold, schlechteren Unterkünften und weniger Kriegsrente als ihre „weißen Kameraden“ zufriedengeben. Sondern es kam auch zu den absurden Situationen, in den die afrikanischen Soldat*innen unter dem pro-faschistischen Vichy-Regime kämpften gegen andere afrikanische Soldat*innen unter Führung von General de Gaulle.

Der Rassismus von kriegsführenden Staaten ist direkt mit der Klassenfrage verbunden. Als die USA 1964 als Kriegsmacht in den Vietnam-Krieg eingriff, wurden überdurchschnittlich viele Black Americans rekrutiert. Obwohl sie damals nur 11% der Gesamtbevölkerung ausmachten, stellten sie gut 16% aller Einberufenen. 1965 stieg ihre Zahl durch das „Project 100,000“ weiter an: Hier wurde der Bildungshintergrund für Einberufene heruntergesetzt, was dazu führte, dass etwa 40% aller in diesem „Projekt“ Einberufenen Schwarze US-Amerikaner*innen waren. Dennoch zogen auch manche von ihnen aus anderen Gründen in den Krieg: Der Sold war der höchste Betrag, den viele von ihnen je verdient haben.

Dieses Motiv hat bis heute in verschiedenen kriegsführenden Nationen Bestand. Niedrige Gehälter und hohe Arbeitslosenquoten machen die Armee grundsätzlich attraktiv für junge Menschen. In der BRD ist besonders der Weg bis zum*r Offizier*in attraktiv für viele: Wer Offizier*in werden will, muss sich für 12 Jahre verpflichten. 3-4 Jahre werden an einer der Bundeswehruniversitäten in Hamburg oder München verbracht. Währenddessen wird der – relativ hohe – Sold weitergezahlt und eine Unterkunft auf dem Campus gestellt. Attraktiv also für junge Menschen (auch) aus Familien, die eine geringere Schulbildung und nur auf ein niedriges Einkommen zurückgreifen können. Gleichzeitig werden junge Männer aus der bürgerlichen Klasse oftmals gar nicht einberufen. Dies wird besonders an dem Unterschied Akademiker-Nicht-Akademiker deutlich. Der spätere Vizepräsident unter George W. Bush jr., Richard „Dick“ Cheney, wurde beispielsweise fünfmal vom Wehrdienst wegen seines Studiums zurückgestellt. Nach dem Studium war er mit seinen 26 Jahren dann bereits zu alt für die Einberufung. Ein Beispiel, das den Klassencharakter der Einberufung nur zu deutlich zeigt. Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Dick“ Cheney selbst zu den Kriegstreiber*innen dieser Welt gehört und sich nicht aktiv dem Dienst an der Waffe entzogen hat – es zeigt lediglich, welche Rolle der soziale Status bei der Einberufung spielt.

Krieg und heroische Männlichkeit

Wer sich, egal ob aus persönlicher oder politischer Haltung, dem Krieg entzieht, entzieht sich damit faktisch nicht nur rassistischen, nationalistischen und klassenspezifischen Bedingungen, sondern stellt sich damit im Effekt auch gegen patriarchale Männlichkeitsbilder.

Allzu oft werden Deserteur*innen als Feiglinge und Angsthasen beschimpft. Wer sich all der Repression zum Trotz nicht einziehen lässt oder von der Front flieht, der folgt grundlegenden menschlichen Werten. Kriegshandlungen und Soldatentum hingehen basieren auf der Aberziehung von Menschlichkeit und der autoritären Unterwerfung für eine höhere Sache: Dem eigenen Leben und dem Leben des Gegenübers wird der persönliche Wert entzogen. Soldatentum basiert auf der Härte gegen sich selbst und gegen Andere. Wenn erst einmal die menschliche Empathie und Beurteilungskraft verloren gegangen ist und die Verantwortung für das eigene Handeln an die Autoritäten abgegeben wurde, kann die alltägliche Gewalt, können die Grausamkeiten des Krieges stattfinden, die in den Debatten um Kriegsverbrechen lediglich ihren Höhepunkt finden.

„Tapferkeit“, „Heldentum“ oder „ewiger Ruhm“ sind zentrale propagandistische Begriffe von vergangenen und gegenwärtigen Kriegsmobilisierungen. Durch diese kriegsverherrlichende Sprache vom Töten und Morden wird entgrenzte Gewalt indirekt als etwas Positives beschrieben.

Und diese Gewalt wird in der Regel von Männern ausgeführt oder Männern zugeschrieben. Frauen hingegen sind Opfer von Kriegen oder werden als primär so wahrgenommen, vor allem von Vergewaltigungen als Kriegsmittel. Die binären Rollenzuschreibungen scheinen eindeutig. Queers, Transpersonen, Intersex, Schwule und Lesben werden in dieser Festschreibung von reaktionären Rollenerwartungen ausgeblendet.

Im aktuellen Russland-Ukraine-Krieg sind zwar überwiegend Frauen und queere Personen, die nicht als Männer eingezogen werden, auf der Flucht und versuchen, das Überleben ihrer Familien zu sichern. Frauen, Queers und Transpersonen sind aber auch aktiv als Kämpfer*innen oder Unterstützer*innen des einen oder anderen nationalstaatlichen Militärs. Es sind aber auch Personen der LGBTQIA+, die von sexueller Kriegsgewalt, Armut und Hunger bedroht sind. Eine feministische Kritik muss dementsprechend die grundlegende Männlichkeits-heroisierende Form des Militarismus und der Kriegsgewalt fokussieren – die alleinige Betonung, dass hier auch Frauen kämpfen, reicht indes nicht aus, um die Kritik des Patriarchalen im Militarismus auszuhebeln.

Diese Form von Militarismus und Kriegsgewalt ist nicht nur während eines aktiven Kriegsgeschehens zu beobachten. Sie wirkt durch eine grundlegende Militarisierung von Gesellschaft, die immer mit imperialistischen Kriegen einhergeht, auch nach dem Kriegsgeschehen weiter bzw. durchzieht auch die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die nicht aktiv im Krieg kämpfen. Gewalt existiert in diesem Sinne nicht nur, wenn aus einem Kanonenrohr geschossen wird, sondern ist Normalität in patriarchalen Gesellschaften in Form von Feminiziden und Vergewaltigungen.

Patriarchale Gewalt und Rollenzuschreibungen verschärfen sich jedoch explosionsartig in Kriegssituationen; Vergewaltigungen, die Alltag in patriarchalen Gesellschaften sind, werden nun darauf zurückgreifend und aufbauend massenhaft als Kriegswaffe eingesetzt.

Unsere feministische Perspektive auf Krieg und Militarisierung beinhaltet insofern automatisch einen positiven Bezug auf das Desertieren. Anstatt durch Kämpfen als Mann für das Vaterland, Frau und Kinder und für eine sinnlose größere Sache zu sterben, übernimmt eine desertierende Person Verantwortung für das Leben.

Lasst uns die Vorbilder der vergangenen und gegenwärtigen Kriege sichtbar machen!

Zu desertieren, ist real und kein idealistisches Bild. Desertation ist konkrete Praxis vergangener und aktueller Kriege, die für uns auch heute eine Quelle der Inspiration darstellen, die uns Mut machen und auffordern ihrem Widerstand zu folgen.

So stehen wir beispielsweise im Austausch mit iranischen Genoss*innen, die sich entgegen des nationalistischen Kriegstaumels dem Iran – Irak Krieg in den 80er Jahren entzogen. Anstatt zu kämpfen, besetzen sie solidarisch Häuser, in denen all diejenigen unterkommen konnten, die vor dem Krieg flohen. Sie öffneten Fluchtwege für Deserteur*innen und gefährdeten dabei ihr Leben. Viele von ihnen leben heute in der ganzen Welt verstreut – auch in Deutschland. Im Jugoslawienkrieg der 1990er gab es ebenfalls Massendesertationen und -verweigerungen. In Serbien und Kroatien beispielsweise folgten über 50% nicht ihrem Einberufungsbefehl. 1992 leistete das ganze Dorf Tresnejwac Widerstand gegen die Einberufung ihrer Reservisten. Sie errichteten ein „Verweigerungscamp“ in ihrer Dorfkneipe, das für 62 Tage Bestand hatte, und gründeten die „geistige Republik Tzitzer“.

Im Kontext des US-Vietnam Krieges desertierten über 1000 der in Deutschland stationierten US-Soldat*innen. Dies wurde damals von Genoss*innen in der BRD mit einer Deserteurskampagne begleitet, die erfolgreich dabei unterstützen konnte, Menschen zur Desertation zu bewegen oder ihre Ausreise beispielsweise nach Schweden zu organisieren, wo sie einen legalen Aufenthalt und Schutz erhielten. Viele von ihnen sind auch über viele Jahre hinweg illegalisiert in Deutschland geblieben und wurden von deutschen Genoss*innen dabei unterstützt, ihr Leben in der Illegalität bestreiten zu können.

Auch in Deutschland können wir auf eine widerständige Tradition gegen die deutsche Bundeswehr zurückschauen. Obwohl das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nach dem deutschen Faschismus ins deutsche Grundgesetz geschrieben wurde, wurde der Zugriff der Bundeswehr auf Männer vor allem durch den zahlreichen Widerstand der Kriegsdienstverweigerer*innen gebrochen. Dazu gehört auch die Geschichte der Totalverweigerer*innen, die auch keinen Ersatzdienst ableisteten und dafür mit Inhaftierungen bestraft wurden. Die legalen Möglichkeiten der Kriegstdienstverweigerung waren in der BRD immer einfacher durchzusetzen, bis hin zur Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht für Männer im Jahr 2011.

Auch die Diskussionen um Deserteur*innen der Wehrmacht wurden in Deutschland ab den 80er Jahren in die deutsche Öffentlichkeit getragen. So gab es auch Menschen, die unter hohen Strafen und zum Teil mit Verlust des eigenen Lebens aus der Wehrmacht desertierten, und/oder zur Roten Armee oder den Partisan*innen überliefen. Dabei erleben wir bis heute, dass es in erinnerungspolitischen Auseinandersetzung schwierig ist, diesen Menschen, anstatt den deutschen Soldaten, zu gedenken. Noch immer stehen in jedem Dorf gut gepflegte Kriegerdenkmäler, die den Soldatentod heroisieren, an denen alljährliche Kränze und Blumen niedergelegt werden. Auch wenn es in vielen Städten, wie in Kassel, Göttingen, Ulm, Darmstadt, Karlsruhe oder Bremen, um nur einige zu nennen, auch Deserteursgedenken gibt, stehen noch an zu vielen Orten diese Kriegerdenkmäler. Als eine Antwort darauf haben wir im Rahmen des Camps und Aktionstage von Rheinmetall entwaffnen 2022 in Kassel das dortige Kriegerdenkmal in ein Deserteursdenkmal umgewidmet, indem wir das Gedenken an die einzelnen Regimenter der Wehrmacht durch Geschichten von Kasseler Deserteur*innen aus dem Zweiten Weltkrieg ersetzt haben.

Im aktuellen Russland-Ukraine-Krieg entziehen sich hunderttausende Wehrpflichtige in Belarus, in der Ukraine und in Russland dem Krieg. Viele fliehen über gefährliche Wege in andere Länder. Bis Mitte März 2022 sind bereits 300.000 Russ*innen (nicht nur Kriegsdienstverweigerer*innen) außer Landes geflohen, vor allem nach Armenien, Georgien. Serbien und nach Kasachstan. Seit der russischen Teilmobilmachung am 21. September 2022 sind weitere 260.000 Männer im wehrpflichtigen Alter geflohen. Circa 145.000 wehrpflichtige Ukrainer*innen halten sich als Geflüchtete in der EU auf.

Zudem halten sich viele Kriegsdienstverweigerer*innen aus Eritrea in Deutschland auf, die zum Teil auch in der Eritreischen Antimilitaristischen Initiative organisiert sind. Seit 1998 tobt in Eritrea ein Krieg um Unabhängigkeit und Grenzen gegen Äthiopien mit der massiven Folge der Militarisierung der ganzen Gesellschaft. Insbesondere viele Jugendliche allen Geschlechts werden für den Kriegsdienst eingezogen, ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt es nicht. Viele der jungen Menschen, die militärisch zwangsrekrutiert werden, verschwinden und tauchen nie wieder auf. Aus diesem Grund fliehen sehr viele insbesondere junge Menschen aus Eritrea, viele von ihnen in die direkten Nachbarländer, manche schaffen es auch bis in die EU und bis nach Deutschland, wo sie jedoch kein Asyl bekommen, sondern mit dem unsicheren Status der Duldung leben müssen.

Lasst uns in internationaler Solidarität mit Deserteur*innen die Festung Europa zum Einsturz bringen!

Die Fakten zeigen, dass sich sehr viele Menschen nicht am Krieg beteiligen wollen. Dennoch haben wenige eine juristisch sichere Situation. Deserteur*innen erhalten in der BRD und Europa keinen Schutz.

Es gibt formal das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das in der Genfer Flüchtlingskonvention als Asylgrund institutionalisiert ist. In der Anerkennungspraxis der einzelnen Staaten, insbesondere in Deutschland, sorgen jedoch hohe formale Hürden, wie z.B. detaillierte Nachweise für völkerrechtswidrige Einsatzbefehle, in der Praxis dafür, dass viele Kriegsdienstverweigerer*innen keinen Schutzstatus erhalten. Desertation stellt in Deutschland einen Straftatbestand dar. Deserteur*innen anderer Länder erhalten für Desertation entsprechend nicht grundlegend Asyl. Dies ist nur möglich, wenn deutlich gemacht werden kann, dass die Desertation politisch begründet ist.

In den aktuellen Debatten um Deserteur*innen aus Russland soll die Desertation nach Aussagen des deutschen Innenministeriums gegenwärtig als politische Handlung gegen den Staat Russland aufgefasst werden. Dies betrifft dann jedoch nur die Desertation, nicht jedoch die Kriegsdienstverweigerung, für die weiterhin hohe formale Nachweishürden bestehen.

Deserteur*innen und Kriegsdienstverweigerer*innen aus der Ukraine erhalten in Deutschland ebenfalls keinen besonderen Schutzstatus. Wenn „wehrfähige Männer“ es aus der Ukraine heraus schaffen, fallen sie aber derzeit ebenfalls unter die Massenzustromsrichtlinie der EU, nach der, solange diese Richtlinie auf EU Ebene angewendet wird, alle Menschen mit ukrainischen Papieren sich für drei Jahre in Deutschland aufhalten dürfen. Was danach passiert, ist ungewiss. Sicherlich verjährt Desertation nicht innerhalb von drei Jahren.

Für Kriegsdienstverweigerer*innen und Deserteur*innen aus anderen Ländern bestehen derzeit keine besonderen Regelungen, sodass viele aufgrund der hohen formalen Nachweisregelungen in der Praxis in Deutschland mit dem unsicheren Status der Duldung leben und jederzeit abgeschoben werden können.

In den gesamtgesellschaftlichen Debatten ebenso wie in der Anerkennungspraxis wird eben oft keine politische Haltung unterstellt, sondern versucht Desertation als Feigheit und Entscheidung aus persönlichem Interesse darzustellen. Wir weisen diese Unterscheidung in politische und persönliche/unpolitische Desertation jedoch entschieden zurück, da Desertation als individuelle Verweigerung in imperialen, nationalistischen, kapitalistischen, rassistischen und patriarchalen Kriegen eine Rolle einzunehmen per se einen widerständigen Akt darstellt, auch wenn sie aus dem Willen zum Leben heraus und nicht aus bewusster politischer Handlung gegen die Herrschaftsverhältnisse heraus erfolgt. Dieser versuchten Spaltung zwischen uns als politischer Bewegung und vermeintlich unpolitischen Kräften, die jedoch aus unserer Sicht moralisch richtig handeln, sollten wir uns als organisierte Kräfte entschieden entgegenstellen.

Das Problem geht aber weit über die restriktive Anerkennungspraxis der einzelnen EU Staaten hinaus. Die meisten Menschen scheitern schon an der Festung Europa. Die meisten Deserteur*innen kommen gar nicht erst bis in die EU, weil sie im Mittelmeer ertrinken, an ungarischen oder polnischen Grenzzäunen zusammengeschlagen werden oder gleich in andere Länder fliehen.

Viele Deserteur*innen aus Russland fliehen nach Serbien, Moldawien oder in die Türkei, wohin sie visafrei einreisen können. Viele Deserteur*innen aus der Ukraine fliehen über den Fluss Theis nach Rumänien. Es gibt für die meisten Deserteur*innen aller Länder weltweit keine legalen Einreisemöglichkeiten in die BRD. Asyl beantragen kann nur, wer bereits da ist. Das verhindern bereits Militär- und Polizeieinheiten in der Türkei, in Griechenland, Bulgarien, Kroatien, Ungarn, Polen, Italien, Spanien bis hinein nach Deutschland.

Dabei sind es gerade auch Militärtechnologien und Überwachungstechnologien made in Germany, die nicht nur in den Kriegen, aus denen Menschen fliehen oder denen Menschen sich verweigern, sondern auch an den Außengrenzen zum Einsatz kommen. Dazu gehört z.B. Drohnentechnologien, Wärmebildkameras und Radarüberwachungssysteme, die sowohl von deutschen Firmen wie Rheinmetall als auch von Firmen wie Airbus, Hensoldt, Indra, Asseco oder Atos hergestellt werden, die alle auch in Deutschland produzieren.

Dementgegen bleibt es eine Aufgabe internationaler, antirassistischer Solidarität Fluchtwege zu ermöglichen, zu öffnen und gemeinsam für ein Bleiberecht in der EU und in Deutschland zu kämpfen! Auch hier können wir auf eine lange Erfahrung von Genoss*innen schauen: Entlang der verschiedenen Grenzen innerhalb und außerhalb der EU gibt es eine breite, widerständige Praxis der Unterstützung von People on the Move: Diese Netzwerke basieren auf Netzwerken von Flüchtenden selbst, NoName Kitchens, internationalen Aktivist*innen, lokale Zivilgesellschaften bis hin zu den bekannten Seenotrettungsorganisationen, die Boote betreiben, Häuser besetzen, Essen bereitstellen, einen aktuellen Informationsaustausch ermöglichen, Verletzungen versorgen und so versuchen trotz ständiger Kriminalisierung eine grundlegende Infrastruktur zu stellen, um Menschen die gefährliche Flucht nach Europa zu erleichtern.

Lasst uns die Bundeswehr delegitimieren, wo immer sie auftritt! Gegen die Normalisierung!

Als radikale Linke in Deutschland reicht es aber nicht, bei den Debatten um Deserteur*innen anderer Länder stehen zu bleiben. So wie wir die Verantwortung Deutschlands an den Kriegen anderswo deutlich machen, in dem wir die Produktion der Waffen in Deutschland sichtbar machen, so machen wir auch deutlich, dass nicht nur deutsche Waffen, sondern auch deutsche Soldat*innen, viele von Ihnen Neonazis, in der ganzen Welt am Krieg beteiligt sind.

Nach dem Deutschland 1945 besiegt wurde, beschlossen die Alliierten die Entmilitarisierung von Deutschland in die Wege zu leiten. Es folgte eine kurze Phase ohne Armee von 1945 bis in die 1950er Jahre hinein. Ab Mitte der 1950er in der Logik des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion wurde die Armee der Bundesrepublik, die jetzt Bundeswehr heißt, unter Einbezug der faschistischen ehemaligen Wehrmachtssoldaten jedoch wieder aufgebaut. Kontinuitäten finden wir bis heute in den Bezügen der Bundeswehr auf die Wehrmacht: Kasernen, die nach Propaganda-Helden des Deutschen Faschismus benannt sind, Kasernen, in denen immer wieder Nazi-Devotionalien auftauchen. Die Bundeswehr wurde in den 50ern wieder aufgebaut, wieder als Massenarmee, in der deutsche Männer deutsche Tugenden lernen sollten: Gehorsam, Disziplin und Ordnung. Dieser patriarchalen Schulung der Männer-Nation machten zahlreiche Kriegsdienstverweigerer*innen einen Strich durch die Rechnung. Sie erkämpften immer weitere Lockerungen für den Ersatzdienst bis hin zur Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht 2011.

Nicht nur in den Kontinuitäten und der Tradition, in der die Bundeswehr steht, hat diese ein strukturell rechtes Problem, sondern auch personell ist die Bundeswehr durchsetzt von Neonazis. In der Bundeswehr gibt es organisierte rechte Schattennetzwerke, wie das Hannibal-Netzwerk: Ein Zusammenhang aus organisierten Neonazis, Soldat*innen, Reservist*innen, Verfassungsschützer*innen, Kriminalpolizei und Teilen des Sondereinsatzkommandos (SEK). Ein Netzwerk, das für den Tag X den bewaffneten Umsturz vorbereitet, Anschläge plant und Todeslisten führt. Zu ihnen gehört zum Beispiel Franco Albrecht, jener Bundeswehroffizier, der sich im Jahr 2015 als syrischer Flüchtling tarnte, um als dieser Anschläge zu begehen, um so die Stimmung in Deutschland gegen Migrant*innen weiter anzuheizen.

Doch unser Problem mit der Bundeswehr ist nicht nur, dass diese strukturell rechts ist, sondern auch, dass es sie überhaupt gibt. Die Bundeswehr ist und war in diverse Kriege und Konflikte weltweit involviert, u.a. in Serbien und dem Kosovo, in Afghanistan, im Mittelmeer oder in Mali. Gerechtfertigt werden diese Einsätze mit der „Verteidigung deutscher Werte“ oder auch immer offener mit der Sicherung von Handelswegen, mit der Sicherung von Einfluss und Ressourcen oder mit der Verhinderung von Migration über den Globus. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz ist ein immer wiederkehrendes Motiv, dass Deutschland die „Führungsrolle“, die die BRD international bereits wirtschaftlich einnimmt, nun auch wieder militärisch untermauern soll.

Da die Bundeswehr keine Pflichtarmee mehr ist, hat sie jedoch ein Nachschub-Problem. Gut so! Wir rufen alle Menschen dazu auf, sich der Kriegsrekrutierung zu verweigern und die Bundeswehr zu schwächen. Sei es die Jugend, Soldat*innen, Menschen in medizinischen Berufen oder die Zivilgesellschaft. Auch wenn die Kriegsdienstverweigerung nicht mehr für jeden jungen Mann aktiv Thema ist, sehen wir zahlreiche Möglichkeiten aus den verschiedensten Positionen heraus zu erklären, dass mit uns keine militaristische Zeitenwende zu machen ist, dass mit uns nicht zu rechnen ist, dass wir nicht zur Verfügung stehen:

Ein Ort, diese Haltung gegen Krieg und die deutsche Bundeswehr zum Ausdruck zu bringen, sind die Schulen. Die Bundeswehr wird als „Karriereoption“ in Schulen und Jobcenter vorgestellt. Die aktuelle militaristische Zeitwende lässt befürchten, dass die Rekrutierungsbemühungen noch intensiviert werden. Im Anschluss an die Münchner Sicherheitskonferenz 2022 wurde die „Zeitenwende on Tour“ bekanntgegeben, in der die militaristische Politik gezielt an Bürger*innen bundesweit vermittelt werden soll. So „diskutierte“ die damalige Verteidigungsministerin Lambrecht im September 2022 mit Bonner Schüler*innen über die Sicherheitspolitik der BRD. Im „Weißbuch“ der Bundeswehr verkündet die Bundeswehr ihre Strategie für die kommenden Jahre: Durch Medienangebote, die von YouTube-Serien bis zu Snapchat-Filtern reichen, soll früh eine Normalität und Allgegenwärtigkeit, ein subtiler Militarismus, geschaffen werden. So sollen Schüler*innen abgegriffen werden, die noch untentschlossen dem Sog des immer weniger sicheren Arbeitsmarktes entgegenblicken. Auch hier wird es eher diejenigen treffen, die auf ein frühes, geregeltes Einkommen angewiesen sind. Wo wir können, sollten wir das Narrativ der Bundeswehr als „Karriereoption“ entlarven, z.B. durch die Sichtbarmachung der Funktion des Heeres und der Armee und der grausamen Realität dieses „Berufs“, der eben kein Beruf wie jeder andere ist. Vor allem gegenüber diesen jungen Menschen müssen wir die alten Parolen neu vermitteln: Lasst euch von ihnen nicht anlügen! Gebt ihnen nicht eure Zukunft, eure Jugend, euer Leben! Frohen Mutes schauen wir auf die zahlreichen Initiativen in Deutschland, die die Bundeswehr von Schulen und Universitäten verweisen wollen, die Bundeswehr-Werbung beschädigen, die ihren Protest auf die Straße tragen, wann immer die Bundeswehr versucht sich als zivile Akteurin Raum zu nehmen!

Weitere Bezugspunkte eine Haltung gegen Krieg und gegen die Bundeswehr zum Ausdruck zu bringen, sehen wir dabei überall da, wo Reservist*innen ihre Wehrpässe zurückschicken, eine Praxis, die seit der neusten militaristischen Zeitenwende wieder vermehrt vorkommt. Die Zahl der Kriegsdienstverweigerungen in der BRD hat sich 2022 verfünffacht. Begründet werden die Verweigerungen auch mit dem neusten Krieg in der Ukraine. Hinzu kommt, dass auch die Zahl der Bewerber*innen seit Anfang 2022 zurückgeht.

Wir wissen von Krankenpfleger*innen und anderen medizinischen Berufsgruppen, die in der Vergangenheit erklärt haben im Kriegsfall nicht zur Verfügung zu stehen. Wir finden: Da geht noch mehr! Grundsätzlich kann jede*r kann einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer*in stellen und damit eine Haltung gegen die deutsche Bundeswehr, gegen die Militarisierung und gegen die Zeitenwende zum Ausdruck bringen.

Also: Soldat*innen, Jugend und Zivilgesellschaft, desertiert und verweigert den Krieg!

Rheinmetall Entwaffnen, Februar 2023

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