Prozesserklärung vom 19. Juni 2023

Am 19. Juni waren wir mit vielen Menschen im Amtsgericht Kassel, wo ein Strafprozess gegen einen Genossen begann. Vorgeworfen wird ihm „tätlicher Angriff“ auf einen Bullen während unserer Blockade des Kriegswaffenkonzerns KMW in Kassel im Herbst 2022.

Der Prozess wurde ausgesetzt, nachdem ein Antrag auf Befangenheit der Richterin gestellt wurde.

Angeklagt ist nur einer, gemeint sind wir alle!
Solidarität ist unsere Waffe!


Prozesserklärung des Angeklagten

Der Krieg endet nicht in der Ukraine!

Dazu zitiere ich aus einem Artikel der Frankfurter Rundschau vom 31.05.2023 mit der Überschrift „Kalte Schulter für die USA.“ Zitat: „Dass das Ablösen der USA als vorherrschende Weltmacht durch China weitgehend friedlich vonstatten gehen könnte, wird immer unwahrscheinlicher. Eine militärische Auseinandersetzung wird bisweilen eine wahrscheinliche Option.“

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Abwesenheit von Krieg in den westlichen Wirtschafts- und Wohlstandsmetropolen immer Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung in der Peripherie beinhaltete. Diese Kriege haben nicht mit dem Krieg in der Ukraine geendet. Im Gegenteil, aber sie laufen sozusagen unter dem Radar weiter. Auf nahezu all diesen Schlachtfeldern finden sich Waffen aus deutscher Produktion, und ebenso ist Deutschland Kriegspartei, wo immer es um die Durchsetzung der deutschen Interessen geht.

Kriegspartei ist Deutschland längst auch im Ukraine-Krieg. Allen voran die oliv-grüne Regierungspartei treibt die Koalitionäre zu immer weitergehender Kriegsteilnahme. Ich erspare mir eine genauere Analyse des Ukraine-Krieges, seines Vorlaufs und Ursprungs. Es reicht mir zu sagen: Es ist ein innerkapitalistischer und imperialistischer Krieg, bei dem es Russland wie dem Westen um geostrategische Erweiterung ihrer Machtzonen geht. Zur Verschleierung faselt Russland von der Entnazifizierung der Ukraine und der Westen behauptet, nur ein Sieg in der Ukraine sichere den Fortbestand von Demokratie und Freiheit. Die Verlierer stehen fest: Es sind die Menschen in der Ukraine oder, wie es der renommierteste US-Politikwissenschaftler John Mearsheimer in der Washington-Post einmal schrieb: „Dass der Westen bereit ist, diesen Krieg bis zum letzten Ukrainer zu führen…, dass die Ukraine als Land zerstört ist…, dass wir den Ukrainern nicht erlauben werden, einen Deal abzuschließen, den wir für inakzeptabel halten.“

Der Krieg hinterlässt schon jetzt ein zerstörtes munitionsverseuchtes Land. Hunderttausende tote Soldaten. Wer fragt, wo diese herkommen und wie freiwillig sie töten und getötet werden. Unsere Solidarität gehört allen, die desertieren!

Der Ukraine-Krieg und die damit verbundene Option eines entgrenzten globalen Krieges bis hin zum atomar geführten Krieg fallen nicht zufällig in die Zeit globaler, die Menschheit bedrohender Krisen. Der Krieg ist eher die Antwort. Der Kapitalismus Russlands, Chinas oder des Westens hat keine Antworten auf die drängenden Fragen der Menschheit. Der Kapitalismus ist des Übels Ursache: Er steht nicht für globale Ernährungssicherheit, er ist die Ursache von Hunger. Er beendet keine Kriege, er fördert sie. Er rettet nicht das Klima, er beschleunigt die Klimakatastrophe.

Es ist daher egal, wofür die Koalitionäre in Berlin gewählt wurden, da sie uneingeschränkt hinter dieser menschenverachtenden Wirtschaftslogik stehen. Ernstlich war auch nichts anderes von ihnen zu erwarten. Das Versprechen von ein wenig mehr sozialer Gerechtigkeit und dem grünen Anstrich der deutschen Wirtschaft; letzteres ist jetzt halt ziemlich olivgrün ausgefallen, dafür aber garantiert nachhaltig.

Trotzdem erstaunt es, wie widerspruchslos im Schatten des Krieges agiert wird. Der Despot Putin, mit dem man nicht länger Handel treiben will, wird durch immer andere Despoten ersetzt, die jetzt oder wieder unsere strategischen Freunde und Handelspartner sind. Diese bekommen dann auch „unsere“ Waffen, um ihre geostrategischen Interessen durchsetzen zu können: Die Koalitionäre Saudi-Arabiens für ihren genozidalen Krieg im Jemen. Auch der Nato-Partner Türkei, der sein Land in ein riesiges Gefängnis verwandelt hat, und der noch nicht einmal angesichts der Erdbebenkatastrophe mit zehntausenden Toten seine Angriffe auf die kurdische Freiheitsbewegung auszusetzen bereit war.

Hervorheben möchte ich aber mit Nachdruck den von Deutschland finanzierten und ausgerüsteten Krieg gegen Geflüchtete. Diesen zu intensivieren und immer weiter vom europäischen Kernland entfernt führen zu lassen, wird von der Bundesregierung mit der „Willkommenskultur“ gegenüber geflüchteten Ukrainerinnen begründet.

Die Toten dieses Krieges sind ungezählt. Zu Tode gefoltert nach Push-Backs, gefoltert und zum Verdursten in die Wüste geschickt, von Grenzern erschlagen, nachdem sie die Zäune Europas überwunden haben, im Meer versenkt, gekentert und ertrunken gelassen.

Und aktuell die Hetze gegen Geflüchtete, die wieder einmal das gesellschaftliche Klima schafft, in dem Nazis ihre rassistischen Morde begehen können. Damals wie heute, die Brandstifter von Solingen, Mölln, Saarlouis, Hanau etc. sitzen in den Reihen der Koalitionäre.

Das „Kassel entwaffnen ist keine Kunst“-Camp und unsere Aktionen sind ein Sandkorn im Getriebe der Herrschenden; ein verdammt wichtiges! Eine Stimme gegen Kriegsbeteiligung, Waffenproduktion und -export: Ein lebendiger Ausdruck internationaler Solidarität. Eine gelebte Woche des solidarischen Miteinanders und der Geschlechterbefreiung. Eine Woche der Bildung, des Austausches mit VertreterInnen von Freiheitsbewegungen aus Kurdistan, dem Baskenland, Indonesiens, um nur einige zu nennen. Das Camp fand statt während der Documenta und der sie begleitenden Verunglimpfung des indonesischen Künstler-Kollektives. Die Hetze dauert bis heute an. Wem fällt da schon noch auf, das Bundeskanzler Scholz die Industrie-Messe in Hannover nutzt, um weitgehende Ausbeutungsverträge mit Indonesien abzuschließen. Mit jener „stabilen“ Demokratie, in der bis heute das Militär und die Schlächter Suhatos für beste Ausbeutungsbedingungen bis hin zu Genoziden an den Indigenen sorgen.

Wir haben das Camp gegen viele Hürden durchgesetzt und am Aktionstag waren wir mit der Staatsmacht konfrontiert.

Die Rüstungskonzerne erleben goldene Zeiten mit Umsatz- und Prestigegewinnen; die in Kassel ansässige Rüstungsindustrie gilt als systemrelevant; Kassel ist zu einem der wichtigsten Rüstungsstandorte Deutschlands aufgestiegen: Blockaden von Eingangstüren sind da inakzeptabel. Die „Ordnungshüter“ machten das dann auch unmissverständlich klar. Die unzähligen mitgebrachten Reizgastornister wurden restlos geleert und wahllos gegen Protestierende eingesetzt.

Verletzt wurden Unzählige von uns, festgenommen wenige. Ich bin einer davon. Angeklagt wegen tätlichen Angriffs. Ich wurde zu Boden geschmissen und mir wurden Handschellen angelegt. So musste ich unter Schmerzen eine Ewigkeit verweilen, während der Polizist an meinen Handschellen zerrte und nach vorne andere Blockierende mit seinem Schlagstock traktierte. Eine immer mehr hochgerüstete Polizei braucht es, um die verbliebenen gesellschaftlichen Widersprüche niederzuknüppeln. Dabei haben sie die volle Rückendeckung der Politik, und sie brauchen keinerlei Konsequenzen befürchten.

Uns, die wir die Sandkörner im Getriebe sind, die für eine Perspektive jenseits des Elends der kapitalistischen Logik kämpfen, weht ein starker Wind entgegen. Die Verfolgung und Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstandes: Lina; ich grüße dich aus dem Gerichtssaal! Die Kriminalisierung der KlimaaktivistInnen; auch an euch alle solidarische Grüße! Die Verfolgung und Kriminalisierung unserer kurdischen FreundInnen; Grüße in die Knäste!

Unser aller Widerstand ist alternativlos, um dem herrschenden Wahnsinn Einhalt zu gebieten.

Einschüchtern könnt ihr uns nicht!